Am Montag, den 04.11.2013, konnte ich mir eine amüsante Darbietung von Goethes Faust
I in der Fliegenden
Volksbühne Frankfurt anschauen. Durch lustige, zuweilen stark überzogene
Vortragsweise konnte Goethes Faust - der Tragödie erster Teil - ein humorvoller Charakter verliehen werden,
wobei die „personifizierte Fußnote“ (Philipp
Mosetter) nicht nur in der Lage war, den Humor zu verstärken und bei
den Grenzen zur Albernheit als regulierendes Element zu fungieren, sondern auch
vor allem die vermittelnde Person zwischen den eigentlich Vortragenden (Michael Quast) und
dem Publikum bildete. Dieser wiederum, der
Goethe zu Beginn kaum versteht, bot eine wunderbare
Identifikationsmöglichkeit mit denjenigen unter dem Auditorium an, die sich
ebenfalls mit dem Fauststoff schwertun. Doch gerade deswegen ist die Idee, eine
lustige Vortragsweise zu gestalten, durchaus von pädagogischem Wert, denn immerhin wurden seine libidinösen
Kräfte als elementar zu seiner Schaffenskraft offenbart, was vielleicht zu
einem besseren Verständnis Goethes für junge Leser führen könnte.
Das „Ach“, dass erfährt man als Zuschauer
gleich zu Anfang, drücke Goethes ganzen Schmerz aus, den er in den Mund Doktor
Faustens gelegt hat. Dieses „Ach“
tauchte während der ganzen Inszenierung mehrfach auf und war von
komischen Einlagen begleitet. Der
Vorlesende (Michael Quast) wurde oft dazu ermahnt, mehr Pathos in
diesen so wichtigen drei Buchstaben zu legen. Sätze wie „Das Ohr führt die
Zunge!“, „Der Körper führt mit!“ und „Es muss älter klingen!“ unterbrachen den
Vortragenden nicht wenig. An ähnlich wichtigen „Vokabularen“ (sic!) kam es
ebenfalls zu eingreifenden Maßnahmen des Kommentierenden: „Kerker“ – was
angeblich den dramaturgischen Spannungsbogen implementiere, oder „Flieh!“ – ein
Wort, was grundlegend für die feministische Deutung sei. Der Rezitierende, der an einer
Stelle ein lautes „Hä?“ von sich gibt, bekommt erläutert, dass die Phantasie
zur Qual dahinterstecken würde, da es sich um Beschreibungen phantastischer
Erscheinungen handle, die gleichzusetzen wären mit den schönen Mädchen um den
jungen Goethe, die dieser zwar physisch lieben wollte, es zu jenem Zeitpunkt
wohl aber nicht konnte, womit auch eine treibende Kraft Goethes aufgedeckt
wäre.
Weiter ging es mit zoologischen Betrachtungen der Meerkatze
bis zu Interpretationsansätzen mit dem Vorwissen der Quantenphysik (über die
Szene mit dem Geist, der stets verneint), der Urknalltheorie, dem
Welle-Teilchen-Dualismus und der Heisenbergschen Unschärferelation die besagt,
dass man nur eine Sache beobachten kann, wenn man einen genauen Wert des zu
beobachtenden Objektes herausfinden möchte, dass wenn man z.B. die Geschwindigkeit eines Teilchens herausfinden möchte,
man auf die Auffindung dessen Ortes verzichten muss. Damit habe Goethe
die Thematik der Quantenphysik nicht nur vorweggenommen, sondern diese auch
verstanden.
Es folgte eine kabarettistische Einlage über
Tebartz-van-Elst an der Stelle, wo es heißt: „Ich möchte bittre Tränen weinen…“ (Z.1544-1570 Reclam) , eine
Erläuterung des Wortes „Napel“ (Das „schöne Fräulein“ sei der Nabel der Welt
und das Ganze finde in Neapel statt, weswegen Goethe das Wort „Napel“ kreiert
hatte – Z.2982 Reclam) und … und … und … Leicht überzogen kam mir die
Blues-Version von Gretchens Monolog vor („Meine Ruh ist hin, Mein Herz ist
schwer…“ – Z.3374-3413 Reclam) doch sie hatte immerhin den Zweck, nach der
Pause in der Hälfte des Stückes das Publikum wachzurütteln, erfüllt. Es wurden
viele weitere humorvolle Einlagen gebracht und am Ende des Stücks (von denen
die Schauspieler die Standing Ovation leider nicht bekamen) gingen die beiden Hauptdarsteller wieder auf die
Bühne mit dem Verweis, dass der Applaus nicht ganz den Erwartungen beider
entsprach, weswegen das Ganze nun erneut wieder aufgeführt werden müsse.
Deshalb: Anfangsszene wie zu Beginn, nur diesmal mit Faust – der Tragödie
zweiter Teil… wobei die
personifizierte Fußnote gleich zu erkennen gab, dass sie auch hierbei kompetent
erklären kann.
Doch wenn man so darüber nachdenkt: Wurde bei dieser
Aufführung der Fauststoff und seine vielen unzähligen Interpretationsansätze
parodiert, oder vielleicht gar der Leser dieses Stoffes, oder möglicherweise
alles gleichzeitig? Wenn es am Ende vom Kommentierenden heißt: „Scheitern ist
die Aristokratie des Erfolges“ und dazu noch auffordert, sich diesen Satz zu
notieren, so hat dies nicht nur den Effekt der Komik sondern enthüllt die
Wechselwirkung von Gewinn und Verlust und fasst die Ambivalenz zu Beginn der
Aufführung noch mal auf, die „zwei Seelen“, die sich in der Brust befinden
(dazwischen sei das Schmerzhafte „Ach!“). Ambivalent war dann auch die Meinung
des Publikums am Ende. Viele fanden die Aufführung wohl gelungen, doch beim Verlassen des Saals hörte ich eine ältere
Dame schimpfen, dass der Schund ja nun endlich vorbei sei.
Doch macht euch von allem selbst ein Bild: