Montag, 18. November 2013

Goethe: Faust I – Rezension über die kommentierte Darbietung von und mit Philipp Mosetter und Michael Quast


          Am Montag, den 04.11.2013, konnte ich mir eine amüsante Darbietung von Goethes Faust I in der Fliegenden Volksbühne Frankfurt anschauen. Durch lustige, zuweilen stark überzogene Vortragsweise konnte Goethes Faust - der Tragödie erster Teil -  ein humorvoller Charakter verliehen werden, wobei die „personifizierte Fußnote“ (Philipp Mosetter) nicht nur in der Lage war, den Humor zu verstärken und bei den Grenzen zur Albernheit als regulierendes Element zu fungieren, sondern auch vor allem die vermittelnde Person zwischen den eigentlich Vortragenden (Michael Quast) und dem Publikum bildete. Dieser wiederum, der Goethe zu Beginn kaum versteht, bot eine wunderbare Identifikationsmöglichkeit mit denjenigen unter dem Auditorium an, die sich ebenfalls mit dem Fauststoff schwertun. Doch gerade deswegen ist die Idee, eine lustige Vortragsweise zu gestalten, durchaus von pädagogischem Wert, denn immerhin wurden seine libidinösen Kräfte als elementar zu seiner Schaffenskraft offenbart, was vielleicht zu einem besseren Verständnis Goethes für junge Leser führen könnte.
          Das „Ach“, dass erfährt man als Zuschauer gleich zu Anfang, drücke Goethes ganzen Schmerz aus, den er in den Mund Doktor Faustens gelegt hat. Dieses „Ach“  tauchte während der ganzen Inszenierung mehrfach auf und war von komischen Einlagen begleitet. Der Vorlesende (Michael Quast) wurde oft dazu ermahnt, mehr Pathos in diesen so wichtigen drei Buchstaben zu legen. Sätze wie „Das Ohr führt die Zunge!“, „Der Körper führt mit!“ und „Es muss älter klingen!“ unterbrachen den Vortragenden nicht wenig. An ähnlich wichtigen „Vokabularen“ (sic!) kam es ebenfalls zu eingreifenden Maßnahmen des Kommentierenden: „Kerker“ – was angeblich den dramaturgischen Spannungsbogen implementiere, oder „Flieh!“ – ein Wort, was grundlegend für die feministische Deutung sei. Der Rezitierende, der an einer Stelle ein lautes „Hä?“ von sich gibt, bekommt erläutert, dass die Phantasie zur Qual dahinterstecken würde, da es sich um Beschreibungen phantastischer Erscheinungen handle, die gleichzusetzen wären mit den schönen Mädchen um den jungen Goethe, die dieser zwar physisch lieben wollte, es zu jenem Zeitpunkt wohl aber nicht konnte, womit auch eine treibende Kraft Goethes aufgedeckt wäre.
Weiter ging es mit zoologischen Betrachtungen der Meerkatze bis zu Interpretationsansätzen mit dem Vorwissen der Quantenphysik (über die Szene mit dem Geist, der stets verneint), der Urknalltheorie, dem Welle-Teilchen-Dualismus und der Heisenbergschen Unschärferelation die besagt, dass man nur eine Sache beobachten kann, wenn man einen genauen Wert des zu beobachtenden Objektes herausfinden möchte, dass wenn man z.B. die Geschwindigkeit eines Teilchens herausfinden möchte, man auf die Auffindung dessen Ortes verzichten muss. Damit habe Goethe die Thematik der Quantenphysik nicht nur vorweggenommen, sondern diese auch verstanden.                                                                                                                                                                                                                                  
          Es folgte eine kabarettistische Einlage über Tebartz-van-Elst an der Stelle, wo es heißt: „Ich möchte bittre Tränen weinen…“ (Z.1544-1570 Reclam) , eine Erläuterung des Wortes „Napel“ (Das „schöne Fräulein“ sei der Nabel der Welt und das Ganze finde in Neapel statt, weswegen Goethe das Wort „Napel“ kreiert hatte – Z.2982 Reclam) und … und … und … Leicht überzogen kam mir die Blues-Version von Gretchens Monolog vor („Meine Ruh ist hin, Mein Herz ist schwer…“ – Z.3374-3413 Reclam) doch sie hatte immerhin den Zweck, nach der Pause in der Hälfte des Stückes das Publikum wachzurütteln, erfüllt. Es wurden viele weitere humorvolle Einlagen gebracht und am Ende des Stücks (von denen die Schauspieler die Standing Ovation leider nicht bekamen) gingen die beiden Hauptdarsteller wieder auf die Bühne mit dem Verweis, dass der Applaus nicht ganz den Erwartungen beider entsprach, weswegen das Ganze nun erneut wieder aufgeführt werden müsse. Deshalb: Anfangsszene wie zu Beginn, nur diesmal mit Faust – der Tragödie zweiter Teil… wobei die personifizierte Fußnote gleich zu erkennen gab, dass sie auch hierbei kompetent erklären kann.
Doch wenn man so darüber nachdenkt: Wurde bei dieser Aufführung der Fauststoff und seine vielen unzähligen Interpretationsansätze parodiert, oder vielleicht gar der Leser dieses Stoffes, oder möglicherweise alles gleichzeitig? Wenn es am Ende vom Kommentierenden heißt: „Scheitern ist die Aristokratie des Erfolges“ und dazu noch auffordert, sich diesen Satz zu notieren, so hat dies nicht nur den Effekt der Komik sondern enthüllt die Wechselwirkung von Gewinn und Verlust und fasst die Ambivalenz zu Beginn der Aufführung noch mal auf, die „zwei Seelen“, die sich in der Brust befinden (dazwischen sei das Schmerzhafte „Ach!“). Ambivalent war dann auch die Meinung des Publikums am Ende. Viele fanden die Aufführung wohl gelungen, doch  beim Verlassen des Saals hörte ich eine ältere Dame schimpfen, dass der Schund ja nun endlich vorbei sei.
          Doch macht euch von allem selbst ein Bild: